Sebastian, Du bist seit 2016 stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Sprecher für Antidiskriminierungs- und Queerpolitik der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Wie schätzt du nach über zwei Jahren in diesem Amt die Tragweite von Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt ein?
Je länger ich in diesem Amt bin, desto mehr erhalte ich Kenntnis über Diskriminierungserfahrungen in Berlin. Auf dem Wohnungsmarkt ist das Ausmaß von Diskriminierung leider besonders groß. Das liegt sicherlich auch daran, dass sich die Situation dort allgemein immer weiter verschärft. Wir als Grüne sagen ja nicht ohne Grund, dass die Wohnungsfrage die soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist. Sie ist aber eben auch eine antidiskriminierungspolitische Frage. Denn marginalisierte Gruppen sind von den Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt besonders betroffen. In einem umkämpften Mietmarkt, der zu oft auf kurzfristige Rendite aus ist, kommen Alleinerziehende, Menschen mit Migrationsgeschichte oder Behinderung noch schwerer zum Zug. Kurz gesagt: mit den steigenden Mieten nehmen auch soziale Ausschlüsse zu.
Gibt es denn besonders prägnante Beispiele für solche Diskriminierungserfahrungen, die dich in deinem politischen Handeln geprägt haben?
Es gibt natürlich eine Reihe von Einzelbeispielen, die besonders prägnant sind. Eines ist die Lage queerer Geflüchteter, die sich in Gemeinschaftsunterkünften befinden und die bei der Wohnungssuche zum Teil chancenlos sind. Auch große Familien haben oft Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden, da es in Berlin generell kaum Wohnungen mit entsprechender Größe gibt. Wenn eine Familie dann noch einen Namen hat, der „nicht Deutsch“ klingt, ist es für sie fast unmöglich, Wohnraum zu erhalten.
Es gibt einen besonders krassen Fall, der vor einigen Jahren bekannt geworden ist: In einer Wohnanlage im Fanny-Hensel-Kiez in Schöneberg gab es Mieterhöhungen und lediglich jene Mieter*innen, die einen „nicht Deutsch“ klingenden Namen hatten, haben höhere Mietsteigerungen bekommen als die übrigen Anwohner*innen. Hier hat zum ersten Mal eine Klage nach dem AGG gegriffen und die Vermieterin musste eine Entschädigung von je 15.000 Euro an zwei Familien zahlen. Es kommt aber relativ selten vor, dass der Klageweg gewählt und so erfolgreich bestritten wird.
Studien der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und aus anderen Ländern zeigen: Der wirkliche Entscheidungsprozess bleibt bei der Wohnungssuche meist verborgen. Betroffene berichten von Erlebnissen, bei denen der oder die Vermieter*in überraschend, aber freundlich verkündet, dass die Wohnung bereits vergeben sei. Dies wird auch als „Diskriminierung mit einem Lächeln“ bezeichnet. Welche Handlungsoptionen siehst du für Betroffene, die sich in einer solchen Situation befinden?
Die Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt „Fair mieten - Fair wohnen“ wurde genau aus dem Grund geschaffen, dass es so schwierig ist, dieser Problematik angemessen und wirkungsvoll zu begegnen. Ein zentraler Faktor ist das Beratungsangebot: Mit der in der Fachstelle angesiedelten Beratungsstelle können wir groß in der Stadt bewerben, dass wir betroffene Menschen unterstützen wollen. Genauso müssen aber auch alle rechtlichen und antidiskriminierungspolitischen Maßnahmen ausgereizt werden.
Die Fachstelle plant derzeit auch Testing-Verfahren. Bei Testings werden Bewerbungen mit vergleichbaren Voraussetzungen eingereicht, um zu schauen, ob im Auswahlverfahren für eine Wohnung eine Ungleichbehandlung anhand bestimmter Diskriminierungsmerkmale durch den oder die Vermieter*in stattfindet. Auf dieser Grundlage - und das, finde ich, ist ein guter Ansatz – können Musterklagen zu bestimmten AGG-Merkmalen geführt werden, die im Rahmen einer Öffentlichkeit rechtliche Klarheit schaffen und auch zeigen, was normale und legitime Auswahlkriterien sind.
Die Rechtsgrundlage für solche Klagen wurde mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im Jahr 2006 geschaffen. Jedoch gibt es hinsichtlich des Wohnungsmarktes einige Einschränkungen des Diskriminierungsverbotes. Wie schätzt du die Rechtsgrundlage ein?
In der Tat ist das AGG als nicht ausreichend zu kritisieren, weswegen wir Grüne schon seit vielen Jahren Reformvorschläge für das Gesetz entwickelt haben. Doch auch jenseits der Einzelparagrafen, die sich konkret auf Mietverhältnisse beziehen, hat das Gesetz an vielen Stellen Verbesserungsbedarf. So sollte etwa der Merkmalskatalog erweitert werden, da wir wissen, dass der soziale Status oder auch die Sprache Diskriminierungsmerkmale sind, die auf dem Wohnungsmarkt eine besonders wichtige Rolle spielen. Dann würde die Einführung eines Verbandsklagerechts massiv unterstützend wirken sowie die Ausweitung der Klagefristen, die im Moment zu kurz gefasst sind. Solche Änderungen würden den Diskriminierungsschutz auf dem Wohnungsmarkt wirkungsvoller machen.
Der nächste Punkt sind die Regelungen, die sich spezifisch auf den Wohnungsmarkt beziehen. Die Regelung, dass das Diskriminierungsverbot erst ab einer Vermietung von 50 oder mehr Wohneinheiten greift, ist dringend zu prüfen. Es gibt andere Länder, wo diese Grenze bei einer einstelligen Anzahl von Wohneinheiten liegt. Darüber hinaus ist zu kritisieren, dass ein Vertrauens- und Näheverhältnis oder auch der Verweis auf eine nicht weiter definierte soziale Mischung als Rechtfertigungsgründe für Ungleichbehandlung herangezogen werden können. Das sind alles so wachsweiche Kriterien, die im Zweifelsfall dazu führen, dass Ausschlüsse (re-)produziert werden. Das muss aus dem Gesetzestext gestrichen, mindestens aber präzisiert werden.
Ein Argument für diese Regelung könnte aber ja sein, dass das Ziel der sozialen Mischung durchaus sinnvoll ist, um etwa dem Phänomen der Gentrifizierung und der Verdrängung von Personen mit niedrigem Einkommen entgegenzuwirken.
Leider wird das Argument der sozialen Mischung aber meistens nur als Begründung herangezogen, um beispielsweise Menschen mit geringem Einkommen oder Menschen mit Migrationsgeschichte nicht in der Wohnungsvergabe zu berücksichtigen. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Ich bin mir aber nicht sicher, inwiefern das im Rahmen dieses Gesetzes geregelt werden kann. Für die Fachstelle und für mich ist daher momentan besonders wichtig, an die Wohnungsbaugesellschaften und die großen Wohnungskonzerne heranzutreten und sie jenseits des AGG dazu zu verpflichten, klare Kriterien und Qualitätsstandards für eine faire Vermietungspraxis zu entwickeln, die eine gesellschaftlich repräsentative Zusammensetzung in ihren Wohnungsbeständen fördern.
Und welche Rolle kann das von der rot-rot-grünen Regierung geplante Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) für die Bearbeitung des Themas spielen?
Das Landesantidiskriminierungsgesetz bezieht sich im Unterschied zum AGG allein auf den Bereich des öffentlich-rechtlichen Handelns und schließt damit eine AGG-Schutzlücke auf Landesebene.
Spannend ist die Schnittstelle, in der das Land Berlin als Eigentümer der öffentlichen Wohnungsbauunternehmen auftritt. Hier wollen wir Grüne, dass selbstverständlich auch das LADG greift. Aber leider wird das LADG keine Auswirkungen auf die private Wohnungswirtschaft haben.
Du hattest davor schon die Entwicklung von Qualitätsstandards für Wohnungsbaugesellschaften angesprochen. Welche politischen Forderungen und Aktivitäten sind dir als Sprecher für Antidiskriminierungs- und Queerpolitik im Bereich Wohnpolitik sonst noch wichtig?
Als Grundsatz gilt: Wohnen ist ein Grundrecht. Jede Person hat Anrecht auf angemessenen Wohnraum und das ist auch nicht verhandelbar.
Darüber hinaus ist für mich zentral, dass das Land über die städtischen Wohnungsbaugesellschaften in der Pflicht steht, den Bereich des geschützten Marktsegments weiter auszubauen. Im Moment gibt es die Regelung, dass mindestens 50% des städtischen Wohnraums für Personen mit WBS-Berechtigung vorgesehen sind. Das reicht aber nicht aus - es braucht ein spezielles Marktsegment an Wohnungen für besonders marginalisierte Personengruppen, also zum Beispiel große Familien, Wohnungslose oder Geflüchtete. Auf der Bundesebene braucht es außerdem neben Verschärfungen im AGG auch eine Verschärfung der Mietpreisbremse.
Welche Hindernisse sind dir bisher in der Umsetzung dieser politischen Vorhaben und Ziele begegnet, etwa in der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren?
Bislang gibt es ein sehr unterschiedliches Bewusstsein für das Problemfeld Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt in unserer Stadt, gerade auch in der Politik. Wir Grüne werden weiter dafür werben müssen, dass diese Problematik ernsthaft angegangen wird. Besonders die private Wohnungswirtschaft hat kein Interesse daran, dass wir ihr ins Geschäft reden. Hier müssen wir schauen, wie sich noch mehr Druck aufbauen lässt.
Insgesamt bin ich aber ein großer Freund davon, viele Bündnispartner*innen zu gewinnen und von der Relevanz des Themas zu überzeugen.
In Berlin gibt es zum Glück Antidiskriminierungsnetzwerke, die sich schon seit vielen, vielen Jahren engagieren. Die Fachstelle „Fair Mieten – Fair Wohnen“ kann auf ihre Expertise zurückgreifen und sich mit ihnen vernetzen. Darüber hinaus verfolgt die Fachstelle einen innovativen Ansatz: Zum ersten Mal wird das Thema Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt unabhängig von einzelnen Merkmalen wie z.B. Alter, Behinderung oder Rassismuserfahrung als Handlungsfeld in den Mittelpunkt gestellt. Das ermöglicht einen intersektionalen Arbeitsansatz. Wenn sich die Arbeit der Fachstelle bewährt, könnte ihr Ansatz möglicherweise auch als Blaupause für andere Bereiche dienen, z.B. im Einsatz gegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt.
Zum Abschluss möchte ich noch auf ein gutes Praxisbeispiel für diskriminierungsfreies Zusammenleben zu sprechen kommen: Du unterstützt die Realisierung des generationsgerechten Wohnprojekts für lesbische und transgeschlechtliche Frauen vom Verein "Rad und Tat - Offene Initiative lesbischer Frauen" (RuT). Könntest du hiervon kurz berichten?
Das Projekt von RuT ist in der Tat bemerkenswert. Es ist auf ältere lesbische und Trans*Frauen, auch mit Pflegebedarf, ausgerichtet. Hierdurch werden gleich zwei politische Herausforderungen in den Blick genommen: Einerseits wird eine marginalisierte Personengruppe, die nur schwer Zugang zum Wohnungsmarkt hat, mit Wohnraum versorgt. Andererseits wird darauf reagiert, dass es gerade Menschen mit Migrationsgeschichte und LSBTIQ*Personen in Alten- und Pflegeeinrichtungen nicht leicht haben, da die Pflege noch nicht divers aufgestellt ist und es an entsprechenden Qualitätsstandards fehlt.
Außerdem öffnet sich das Wohnprojekt durch vielfältige Freizeitangebote und soziale Vorhaben dem Kiez. Insofern ist es in der Tat ein Pionierprojekt, indem soziale Vielfalt gelebt und alle verschiedenen Vielfaltsdimensionen mitgedacht werden.
Inwiefern siehst du denn in solchen Wohnprojekten die Chance, Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt insgesamt zu reduzieren? Es handelt sich ja nur um ein Einzelbeispiel auf dem Berliner Wohnungsmarkt.
Ich sehe in solchen Wohnprojekten vor allem die Chance, deutlich zu machen, dass der Zugang zu Wohnraum kein Privileg bestimmter Bevölkerungsgruppen sein darf. Hier wird das Signal gesetzt, dass Wohnraum auch gerade für benachteiligte Gruppen mit besonderen Bedarfen, zum Beispiel Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, vorgesehen und geschaffen werden muss.
Das hat natürlich aber nur werbenden Charakter – die Ausreizung und Ausweitung rechtlicher Möglichkeiten im Antidiskriminierungsbereich sowie strukturelle Änderungen in der Vermietungspraxis bleiben daher umso wichtiger.
Vielen Dank für das Interview!